Von den Guten und Gerechten
Friedrich Nietzsche
Oh meine Brüder! Bei Welchen liegt doch die grösste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei den Guten und Gerechten? –
–– als bei Denen, die sprechen und im Herzen fühlen: »wir wissen schon, was gut und gerecht, wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch suchen!«
Und was für Schaden auch die Bösen thun mögen: der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden!
Und was für Schaden auch die Welt-Verleumder thun mögen: der Schaden der Guten ist der schädlichste Schaden.
Oh meine Brüder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal ins Herz, der da sprach: »es sind die Pharisäer.« Aber man verstand ihn nicht.
Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist ist eingefangen in ihr gutes Gewissen. Die Dummheit der Guten ist unergründlich klug.
Das aber ist die Wahrheit: die Guten müssen Pharisäer sein, – sie haben keine Wahl!
Die Guten müssen Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! Das ist die Wahrheit!
[...]
Den Schaffenden hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und alte Werthe, den Brecher –– den heissen sie Verbrecher.
Die Guten nämlich –– die können nicht schaffen: die sind immer der Anfang vom Ende: ––
–– sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern sich die Zukunft, –– sie kreuzigen alle Menschen-Zukunft!
Die Guten –– die waren immer der Anfang vom Ende. ––